Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Ob dramatisch, trivial, spannend oder emotional: Erzählungen von und mit Katzen
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Re: Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon hildchen » 05.12.2015 14:28

Bitte richte Gerd und Elke Schuster mein tiefes Beileid aus. :cry:
Mein einziger Vorsatz für 2020: Ich will mir nicht mehr alles gefallen lassen!


Hollyleaf
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Re: Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon Hollyleaf » 05.12.2015 17:24

Mein Beileid :(

catweasle
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Re: Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon catweasle » 07.12.2015 20:25

Liebe Elke, lieber Gerd,

mein aufrichtiges Beileid. Ich weiss gar nicht, was ich sagen soll. :(
Ich habe seit Wochen die Geschichte um Sita mitgelesen und so sehr gehofft, dass die Maus noch ganz ganz viel Zeit hat. Umso trauriger bin jetzt.
Ich bin davon überzeugt, dass Ihr das richtige für Sita getan habt.

Traurige Grüße aus dem Taunus
Sabine

shirkan
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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 17.12.2015 23:30

DANKE für eure Anteilnahme an Sitas Erkrankung und ihrem Tod. Ich habe Gerd und Elke von euren lieben Worten berichtet.

Depesche 119 Der Blumenkater lässt die Vase tanzen

Die beiden Empfänger des Geburtstags-Bouquets sind einer Meinung: Der Strauß zum gemeinsamen Wiegenfest am 9. Juni ist eine Wucht! Shirkan, unser am gleichen Tag wie ich geborener und hortikulturell äußerst interessierter weißer Kater, umrundet die Vase höchlichst enthusiasmiert und stupst sein allerliebst geformtes Näschen, vom süßen Peonienduft berauscht, in die pinke Pracht der vierzehn üppig erblühten Pfingstrosen.

Nach und nach wird der Katzen-Beau des Schnüffelns müde, und er konzentriert sich auf seinen beschwörenden Ringtanz um die schwere Glasvase. Die Kreisbahnen werden enger, und das Seidenfell an der Kurveninnenseite reibt immer heftiger über das Glas. Ich überlege gerade, ob es Shirkan gelingen könnte, den Blumenkelch auf diese Weise elektrisch aufzuladen, und was er damit erreichen könnte, als sich die Vase zu bewegen beginnt und sich mit lautem Wanken, Schaben und Kratzen im Gefolge des Katers eine Handvoll Zentimeter um ihre Längsachse dreht!

Potz Blitz!!! Wie in aller Welt hat Shirkan das bewerkstelligt? Ich bin ratlos. Wenn ich doch nur sehen könnte!

Wie so oft hilft mir Elke, die alles genau beobachtet hat, aus der Patsche. Der weiße Blauaugenkater, erläutert sie, hat die schwere Vase – natürlich! - nicht mithilfe seines seidig glatten Pelzes zum Rotieren bringen können. Also hat er zu einem Trick gegriffen: Während er die Aufmerksamkeit der Beobachter auf sein Drängeln und Schubsen lenkte, schlang er fünfundzwanzig Zentimeter weiter oben die tentakelhaft bewegliche Spitze seines (Greif) Schwanzes heimlich, still und leise um einen Peonienstrunk und zog die Schlinge zu. Weil er weiter vorwärts drängte, drehte sich der Strauß und mit ihm die ganze Vase.

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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 24.12.2015 17:05

2015_12_Frosch_xmas_kleiner.jpg
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shirkan
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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 12.01.2016 23:01

Liebe Depeschianerinnen und Depeschianer,
eine ganze lange Weile habe ich keine neuen kleinen Geschichten der Dreierbande mehr hochgeladen (Urlaub).
Damit ist ab kommenden Donnerstag Schluss: Die nächste Depesche 120 kommt gewiss.

Doch vorher möchte ich Ihnen das neueste Werk von Gerd Schuster vorstellen. Es erscheint demnächst bei Epubli, den genauen Termin gebe ich rechtzeitig bekannt.
Wer Freude an den Depeschen 40/41 hatte, wird sich vielleicht auch für "Die Moritat vom Drachen Gargantoff, einem Ritter- und Lindwurm-Epos", begeistern.
Gerd schreibt hierzu in seinem Vorwort im Ebook:

Unsinnsgedichte: Quatsch mit Soße oder, trotz des
Namens, Sinn im Überfluss? Eine kurze Einführung
über eine ganz besondere Sparte der Lyrik.

Eine literarische Konsumempfehlung ist der Kategorie-Name »Unsinns-Gedichte« nun wirklich nicht. Der Leser des Begriffs bringt ihn vielmehr unwillkürlich in Zusammenhang mit plumpen Reimen, holprigem Versmaß und abstrusen oder sinnentleerten Inhalten - kurz Eigenschaften, die unseren Dichterfürsten Goethe dazu bringen würden, in seiner hochherrschaftlichen Gruft zu rotieren.
Mit Schuld an dieser Fehleinschätzung ist ein Übersetzungsfehler, dessen man sich schuldig macht, wenn man »Unsinns-Gedichte« für die Entsprechung von »Nonsense Poems« hält: Das englische Nonsense ist jedoch ein weitaus weniger drakonischer Begriff als das deutsche Unsinn, denn es hat Sinn für Humor und lässt auf liberalen Spielwiesen allerlei Skurriles, Schräges und Groteskes gedeihen, statt – wie seine fast ausschließlich verwendete vermeintliche deutsche Entsprechung – alles derartige zu diffamieren.
Was tut ein Übersetzer, wenn er für eine zu übertragende Vokabel in der Zielsprache kein deckungsgleiches Wort findet? Er nimmt eines, das einigermaßen passt!
Wollte man auf derartige Kompromisse verzichten, würde der Übersetzerei, die an skandalösen Hungerhonoraren und einer schleichenden Unterwanderung durch Stümper leidet, der Boden entzogen.
Ich habe mir viel Zeit genommen, weitaus mehr, als ein Übersetzer, der die Wahl hat zwischen Hungern und Hudeln, sich leisten könnte. Frucht des Grübelns ist die Erkenntnis, dass »Nonsense-Gedicht« die optimale deutsche Entsprechung von »Nonsense Poem« ist.
Klammern wir diese Übertragungsprobleme einmal aus, indem wir auf der »sicheren« englischen Seite verweilen. Hier werden wir früher oder später mit der Nase auf das Gedicht »Jabberwocky« von Lewis Carroll gestoßen. Es ist Urmutter und Leitstern der schrägen Reimerei – und bis auf zwei kurze Halbsätze – Warnungen vor den Zähnen und Pranken des Untiers Jabberwocky – völlig unverständlich, da seine Wörter zwar englisch aussehen und englisch klingen, aber mit Ausnahme der Artikel und Bindewörter kein Englisch sind.
»Jabberwocky« wurde anno 1871 in dem Buch »Alice behind the Looking Glass« veröffentlicht und ist bis heute hochaktuell, wie ein kurzer Blick in Google belegt. »Alice hinter dem Spiegel«, so der deutsche Titel des schrägen Werks, war eine Art Fortsetzung von »Alice in Wonderland«. Der Autor – er hieß mit bürgerlichem Namen Charles L. Dobgson und wirkte als Mathematik-Professor an einem edlen Oxforder College – musste den späteren Weltbest- und Superdauerseller auf eigene Kosten drucken lassen, weil kein einziger Verlag dessen Potential erkannte.
Um einen Hauch von Ordnung in diese anarchische und ungebärdige Gedichtgattung zu zwingen, kann man die Nonsense Poems in zwei Kategorien mit jeweils zwei Klassen einteilen:
Zu Kategorie I) Stücke ohne Veränderung der Sprache gehören erstens lustige Ulkgedichte a la Heinz Erhard und zweitens genialische, sprachlich feinst geschliffene, oftmals düstere Lyrik a la Christian Morgenstern.
Kategorie II) Stücke mit Veränderung der Sprache, beinhaltet erstens Gedichte mit geringer bis mäßiger Modifikation beziehungsweise, zweitens mit starker oder völliger Veränderung der Sprache. Meine Moritat »Die Abenteuer des Drachen Gargantoff« gehört in die weniger schwierige erste Gruppe, während »Jabberwocky« zu Klasse zwei zählt.
Bei den Poemen dieser Machart ist fast alles anders. Ihren Wörtern sind keine festgelegten Bedeutungen zugeordnet, die – wie im Beispiel »Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar ...«- kinderleichten Konsum quasi ohne Eigenleistung ermöglichen. Stattdessen wird dem wagemutigen Leser von Nonsense Poems auferlegt, nachzuvollziehen, was der Schöpfer des Gedichtes vor dem poetischen inneren Auge hatte, als er ein bestimmtes Neu-Wort kreierte.
So kommt es, dass der vorher relativ unwichtige, beziehungsweise total im Schatten des Sinngehalts stehende Wortklang zur bestimmenden Größe wird.
Schaffen und verstehen des neuen Lyrik-Lingos wird dadurch erleichtert, dass viele Worte unserer Sprache einen fest »imprägnierten« Vorgeschmack ihrer Bedeutung besitzen. Beispielsweise ist schon vom Klang her sonnenklar, dass die Wörter Blauwal, oder Rhinozeros im weitesten Sinne für große Gegenstände stehen, während Distelfink und Kolibri kleine Dinge bezeichnen.
Andere Vokabeln sind neutral wie Lego-Bausteine und verraten nichts. Beispiele sind »Baum« oder »Stamm«. Ihnen muss der Autor mit einer Portion lautmalerischer Würze Profil verleihen.
Während ich an meinem Katzenkrimi »Der Professor mit dem Katzenfell« arbeitete, stieß ich zufällig wieder auf »Jabberwocky«. Da ich die Persönlichkeit meines Protagonisten, des ein wenig weltfremden und unangepassten Historikers Professor Sebastian Schlichtkohl, noch ein wenig abrunden musste, beschloss ich, ihn zum leidenschaftlichen Schmied von »Unsinns-Gedichten« zu machen. Um sein Hirn fit zu halten, dichtet der mega-multilinguale Gelehrte ein mittelalterliches Ritterepos – im Kopf, ohne etwas aufzuschreiben und obendrein in einer Art dramatisch knarrenden, konsonantenschweren Landsknecht-Deutsch, das er während des Verseschmiedens erfindet.
Das war, wie ich feststellen musste, tatsächlich eine Aufgabe für einen Gelehrten. Zusätzlich machte ich es mir selber schwer: In fast fünfzig Jahren Journalismus hatte ich nämlich verinnerlicht, dass es wenig Sinn machte, etwas zu verfassen, bei dem die Leser nur Bahnhof verstanden. Also verwarf ich mehrere Anfänge, die fast so kryptisch waren wie bei Lewis Carroll, zugunsten einfacherer Kost. Graue Haare machten auch die Reime: Nicht selten hatte ich – endlich! – ein mustergültiges Pärchen gefunden, als mir aufging, dass ich mich in der falschen Sprache – Normal-Deutsch – bewegte.
Ich musste also die neue Sprache nicht nur entwickeln und lernen; ich stellte bald fest, dass ich nur dann Fortschritte beim Versezimmern machte, wenn ich mich dem Alt-Sprech exklusiv widmete und das Idiom der Drachen, Ritter und Raben nicht durch Parallelarbeit in modernem Deutsch in seiner Entwicklung störte.
Als der Krimi fertig war und mit ihm die ersten drei Lieder der Gargantoff-Moritat, geriet das Dichten etwas ins Stocken. Die folgenden Verse waren für die weiteren Romane der geplanten kleinen Katzenkrimi-Serie gedacht; aber die Verlage, denen mein Agent oder ich das Buch anboten, hielten es nicht einmal für angezeigt, zu antworten, und dieses schäbige Verhalten löste bei mir nicht gerade Kreativitätsstürme aus.
Erst nach ein paar Monaten Pause - und viel Lob für den Krimi aus dem Bekanntenkreis - raffte ich mich auf und trieb die Moritat von Gargantoff, dem Knappen Kunibert und dem ebenso tatkräftigen wie schönen Edelfräulein Adelgund aus Burgund voran – auch ohne Romane. Eine Geschichte unfertig aufzugeben, das war noch nie mein Fall gewesen.
Schließlich übernahm die Moritat das Kommando und trieb mich mit ihrer siebenschwänzigen Sklavenpeitsche voran, die den meisten Schreibern wohlbekannt ist. Wochen gingen ins Land, während sich die Handlung bunt, witzig und spannend oft ganz ohne mein Zutun weiterentwickelte und mir neue Wörter der Rittersprache zuflogen. Als das Opus – endlich! - beendet war, umfasste es dreizehn Lieder und einen zweiteiligen Epilog –zusammen einhundertundfünf Strophen!
Mit Herzklopfen schritt ich zum Test der Verständlichkeit. Würden die Probeleser mein Neu-Sprech verdauen können?Obwohl bei einigen der Versuchskaninchen beim ersten Blick auf den Text Sorgenfalten auf der Stirn wucherten, waren spätestens beim zweiten Lesen alle, oder fast alle, Unklarheiten ausgeräumt. Zu meiner Verblüffung waren einige Probanden regelrecht beglückt, das »Ausländisch« so gut verstanden zu haben, ohne dass sie Vokabeln oder Grammatik bimsen mussten.
Ich könnte eine komplette Vortragsreihe über Nonsense Poems verfassen; ganz besonders, wenn ich mich auf die begnadeten Gedichte Christian Morgensterns stürzen würde – das Kleinod von dem Werwolf etwa, der nachts einen Dorfschullehrer aus dem Grab bittet, der seinen Namen deklinieren soll, oder das vom Nachtwindhund, der »weint wie ein Kind, dieweil sein Fell von Regen rinnt«. Was den Gehalt an echtem »Sinn« betrifft, so muss sich kein Morgenstern-Poem etwa vor Schillers »eherner, scheinbar unvergänglicher Glocke« verstecken!
Und was die Form angeht, so geht Morgenstern meiner Meinung nach ungleich souveräner und eleganter mit der Sprache um als der schwäbische Verseschmied.


Das Attentat im Schlammbad. Eine historische und sprachliche Einführung in das Drachenwesen und seine Ursprünge.

Genug der Theorie. Am Beispiel des ersten Liedes meiner Moritat möchte ich dem wissbegierigen und hoffentlich drachophilen Leser an die Hand nehmen und in Handlung und Vokabular einführen.
Hier zunächst die Vorgeschichte: Seit Generationen terrorisiert ein Drachenpaar die Bewohner der ausgedehnten Ländereien im Besitz der Ritter von der prächtigen Burg Falckenstein, Adlersstolz, Greiffenklau oder wie immer sie hieß. Die riesigen grünen Flugechsen greifen sich Schafe, Ziegen und Rinder von der Weide, ab und zu auch mal eine zartfleischige junge Hirtin oder einen saftigen Sennerbuben, fackeln Getreidefelder und Bauernkaten ab und verbreiten heillosen Schrecken. Gegen die Monster und ihren Flammenatem ist kein Kraut gewachsen. Die letzten drei Burgherren, die das nicht glauben mochten oder durften, wurden in ihren Rüstungen gegrillt wie Stubenküken in Backfolie. Geballte Brutalität war die Antwort der Monster selbst auf den zaghaftesten Versuch der Bauern, sich zu wehren: Vor etwa zwölf Lenzen brannte der männliche Drache, Gargantoff mit Namen, ein ganzes Dorf nieder, nur weil ein Landsknecht, der zufällig des Wegs kam, einmal mit der Armbrust auf ihn geschossen hatte.
Niemand wagte es, auch nur einen Kirschkern nach den Untieren zu spucken – bis der Zufall zu Hilfe kam: Eines schönen Tages ritt Junker Kunibert auf dem Rückweg vom Lanzentraining auf dem Turnierplatz am Flüsschen Grull entlang zurück zur Burg.
Diese Route hatte der Burgherr ausdrücklich verboten, weil sich die Lindwürmer häufig im Grullach, einem morastigen Schlammpfuhl direkt am Wasserlauf, suhlten, und er keinen Wert darauf legte, dass die kümmerlichen Reste der männlichen Linie der herrschaftlichen Familie weiter dezimiert wurden.
Der als Heißsporn bekannte unfolgsame Junker war sich der Gefahr durchaus bewusst und näherte sich der Suhle fast geräuschlos. Er stieg leise aus dem Sattel, schärfte seinem Streitross ein, mucksmäuschenstill zu sein und kroch durchs Unterholz, bis er einen Blick auf das Gewässer erhaschen konnte – und erstarrte. Noch keine hundert Schritte entfernt lag der Drache in seinem Heilschlammbad und schlief! Aber es kam noch besser: Das Monster befand sich nur eine Pferdelänge vom festen Boden entfernt, und sein Rachen stand etwa einen Fuß weit offen!
Es war, als bäte das Teufelswesen, das vor vielen Jahren des Junkers Vater einen grausamen Tod in seiner rot glühenden Rüstung hatte sterben lassen, darum, von seiner elenden irdischen Existenz erlöst zu werden!
Der blaublütige Heißsporn verlor keine Zeit. Er saß wieder auf, klemmte die riesige Turnierlanze unter den Arm und pirschte sich bis auf fünfzig Schritt an die schnarchende Echse heran. Dann hob er die Lanzenspitze und gab seinem Roß die Sporen. Als der Boden unter den trommelnden Hufen des Hengstes zu vibrieren begann, klappte der Drache ein Auge auf und glotzte ebenso verschlafen wie ungläubig. Er blinzelte ein paar Mal, als könne er auf diese Weise unangenehme Trugbilder vertreiben, und öffnete schließlich beide Augen. Aber da fuhr ihm schon des Junkers Lanze ins Maul.
Kunibert wusste, dass das Attentat gescheitert war, als sein Spieß nicht, wie geplant, den Schlund des Monsters traf und durch ihn in Herz und Eingeweide drang, sondern im Maul der Echse auf etwas Hartes stieß und seiner Spitze verlustig ging. Aber er hatte keine Muße, diesem Gedanken weiter nachzuhängen, denn Gargantoff stieß einen derart urgewaltigen Schmerzens- und/oder Wutschrei aus, dass sein Pferd durchging und er sich nur unter Aufbietung seines ganzen reiterischen Könnens und aller Kraft im Sattel halten konnte.
Das Drachengebrüll – es begann in grollendem Gewitterdonnerbass und wurde auf beängstigende Weise immer lauter und schriller, bis es Gott sei Dank im Alt abbrach – hatte für einen Laut, der dermaßen selten erklang, frappierende Folgen. Innerhalb eines Umkreises von gut fünf Kilometern um die Suhlstätte wurden die Menschen blass wie der Tod und zittrig wie Espenlaub. Schmiede trafen den Amboss nicht mehr, Hebammen ließen Neugeborene fallen, Gerbern schwammen im Flüsschen Grull die Felle weg, und fette Prälaten kippten sich statt Messwein Weihwasser hinter die Binde. Hoch oben auf der Burg ließ Markgraf Ludewig die Clanskasse in seine Kutsche schleppen und anspannen. »Nichts wie weg, bevor der Drache kommt und hier alles platt macht!«, sagte Kuniberts Onkel vor Angst schlotternd.



Hilfreiche Anmerkungen zu Lied 1

In dem soeben geschilderten dramatischen Moment setzt die Handlung der Moritat ein. Der Drache wacht mit schmerzendem Maul aus kurzer Ohnmacht auf. Er liegt in seiner morastigen ieblingssuhle, deren Faul- und Irrlichtgase munter rings um ihn herum im Schlamm (Schlöhm) hochblubbern.
Benommen, wie er ist, fragt Gargantoff ein paar schwarze Raben (peche Corven), wer ihm mit der Lanze (Stach) aufgespießt habe.
Wenn das Untier »fierss« fletscht, so ist das ein Lehnwort aus dem Englischen, wo »fierce« »wild« und »heftig« bedeutet.
Die Flattermänner sitzen in einer riesigen Tanne (arbortann von arbor, lateinisch für Baum, ein Wort mit Saft und Kraft und dicker rauer Rinde!) Die Enthüllung der Vögel, dass der Junker der Attentäter war, versetzt das Monster in Raserei.
Es schmettert eine seiner sofagroßen Tatzen in den Schlöhm, dass dieser himmelhoch spritzt, krümmt rachdurstig seinen Reptilienleib und peitscht seinen Schwanz an den Baumstamm, (Stamm ist zu dem phonetisch substantielleren Stöhm geworden.)
Von hier bis zum Ende des ersten Liedes ergeht sich der lanzierte Lindwurm in selbst Anfängern gut verständlichen Schmähungen seines Gegners, und er gelobt Rache. So will er den Junker »brotzeln«, »bis er im Blechkleid durchgegart«.

Mit Satansstunck das Gurgelgas,
aus dem Moorroß des Grullachs gärte.
Dem Gargantoff kams s sähr zupaß,
weil sin Blessur itzt lesser schwärte.
Er hoivte sich aufs Stoißenbein
und gaukt’ die pechen Korven an.
Die gröhlikrächzten im Verein
auf einem Ast des Arbortann.
»Stellt ein den scheußen Kreischokrach!«
grollaute er und fletschte fierß.
»Gestöhnt mir lieber, wer den Stach
gestößelt hat in min Gekrierß!«
Die Flatterbäusche zöckten frech
die lunghen gelben Schnöfe schief.
»Es war der Juncker in dem Blech;
er kam, als Ihr im Schnarchoschlief!«
Des Gargantoffes Prank karaulte
großwaltig in des Grullachs Schlöhm,
sin zacker Schwoif sich rächig baulte
und krachte an des Arbors Stöhm.

»Welch tycke Tat!« röhrft’ das Reptil
dass weit im Leh’n es tunnerschallt’.
»Welch kläger Tropf, welch zages Ziel,
mich meucheln aus dem Hinterhalt!«
»Darbt’ ihm der Schneyd, ohn’ alle Fynt’
zu fronten mich in rechtem Zwist?
Wieso pürscht’ er sich an so schindt,
kam, als ich schnurcht’, voll räuder List?«
»Das schreyt nach Sühnung!« geifft’ das Ökel
und peitscht den glibben Sudelsmart.
»Ich werd ihn brotzeln, rösten, kökeln’
bis er im Blechkleid durchgegart!«

Doch selbst im Reich der Tatzelwürmer ist die Vorfreude leider häufig die schönste Freude. Die Grillparty fällt flach, weil die zu unsinnigen Ratschlüssen und zu schreiender Ungerechtigkeit neigenden Mächte des Schicksals andere Pläne haben, und die sehen für unsere beiden Protagonisten eine Zeit harter Prüfungen vor.
Kunibert gelang es zwar nach Stunden, sein Pferd, das ihn doch noch abgeworfen hatte, einzufangen und mit Hilfe zweier versprengter Knecht wieder zu besteigen; als er aber endlich seine Burg erreichte, fand er sie leer und verlassen vor. Aus Angst vor der Rache des Drachen hatten Edelleute, Bedienstete, Leibeigene und Tagelöhner Fersengeld gegeben – darunter auch die Mannschaft der Waffenkammer, der es obliegt, heimkehrende Ritter aus ihrer Rüstung zu schälen. Da der Eisenpanzer durch Dutzende von Lederschnallen und –Bänder, die meist am Rücken angesiedelt sind, am ritterlichen Corpus befestigt ist, kann ein Geharnischter eher ein halbes Dutzend Tatzelwürmer auf einmal mit einer Nagelfeile massakrieren, als seiner Eisenhaut ohne Hilfe entschlüpfen.
So kam es, dass unser Nachwuchsritter, als die Sonne sank, eingehüllt in Eisen auf dem Boden der Rüstkammer lag, unfähig, sich zu erheben, und fast von Sinnen vor Zorn, Durst und Hunger, sich auf einen Tod durch Verschmachten einzustellen versuchte.
Nur ein paar Meilen entfernt, tobte Gargantoff durch das Lehen. Er hatte festgestellt, dass nicht nur die Schmerzen durch die tief in seinem Rachen steckende Lanzenspitze unerträglich zu werden begannen, sondern dass er obendrein kein Feuer mehr speien konnte. Ohne seine Hauptwaffe aber, die das Rösten von Grafen, Baronen und Herzögen aus sicherer Entfernung und in gehörigem Abstand von deren Lanzen, Spießen, Streitäxten und Schwertern gestattete, fühlte sich der Lindwurm verloren. Ein beredtes Beispiel dafür, dass lang anhaltende waffentechnische Überlegenheit zur mentalen Verweichlichung führt.
Der Junker entging dem Tode durch Verschmachten in letzter Minute; ihn rettete ein Büttel, dem aufgefallen war, dass die Burg verlassen schien, aber des Erben Streitross tagelang in vollem Putz, ja sogar mit Sattel und in der Scheide steckendem Schwert, allein und verlassen vor der Zugbrücke graste.

Ich will hier nur einen Vorgeschmack auf mein Gedicht geben und der Spannung zuliebe keinesfalls zu viel ausplaudern.

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Beitragvon shirkan » 15.01.2016 23:04

Depesche 120 Katzenalarm! Herrchen wird geschoren

Nervös-erwartungsvolle Spannung liegt über der Küche und unserer vollzählig dort versammelten Katzenschaft. Leider umfasst diese seit dem Tod meiner Lieblingskatze Sita, der langjährigen Chefin der Dreierbande, vorerst nur noch zwei Samtpfoten. Ohne die überlebensgroße Oberkatze kommen sie mir wie Waisenkinder vor.

Die Nerven, Tast- und Schnurrhaarenden sowie Schwanzspitzen des unter dem Tisch versammelten Katzenpärchens vibrieren aufgeregt, denn ein großes Ereignis wirft seine Schatten voraus. Shirkan und Rani sind sich noch nicht hundertprozentig sicher, was ihrer harrt, aber die Anzeichen lassen wenig Zweifel: Frauchen hat einen Stuhl vom Esstisch mitten in den Raum gestellt, Herrchen draufgesetzt, ihm Hemd und T-Shirt ausgezogen, eine Art überdimensionales Kinderlätzchen vor seine Brust gehängt und sich ein Sammelsurium von Scheren, Kämmen und Bürsten zusammen mit der großen alten Schurmaschine zurecht gelegt. Jawohl, es ist wieder einmal soweit: Herrchen verliert sein Fell!

Ein erschreckter kleiner Ruck geht durch die Stubentiger, als die klobige Apparatur, die 25 Jahre alt ist und an Geräte für die Schafschur erinnert, ratternd zum Leben erwacht. Ein zweites, heftigeres Zucken folgt sogleich, denn die ersten dicken weißen Büschel vom Haupthaar des Ernährers aller anwesenden Katzen purzeln zu Boden wie Getreide, das vom Erntewagen fällt.

Als der Haare-Hagel nicht abebbt, sondern unvermindert hernieder prasselt, ist es für das petite Grauchen und den stämmigen weißen Blauaugen-Beau genug des schrecklichen Spiels. Sie drängen zum nahen Balkon. Rani fliegt wie ein Vogel hoch über die Lockenhäufchen hinweg, während der Kater, dem Elke immer mal wieder das Gemüt eines Brauereipferdes bescheinigt, die Haare stoisch durchpflügt: Nichts wie weg von hier, bevor es uns auch noch erwischt, scheint das Motto der Feliden-Flucht!

Kaum hat Frauchen die dicke Glastür des Balkons hinter ihnen zugeklappt, sind die beiden Katzen wie verwandelt. Angst und Sorgen sind vergessen, und was sie eben noch bis tief ins Herz erschauern ließ, erscheint ihnen im Schutze der geschlossenen Tür als real-life Drama von unschlagbarem Unterhaltungswert. Shirkan macht es sich in seiner Schale bequem wie in einem plüschigen Theatersessel, allerdings mit im Vergleich zur Alltagspraxis entgegengesetzter Blickrichtung, und seine hübsche Nichte legt sich – ganz entspannt mit Müffchen – daneben. Kein Haar, das mir vom Kopfe fällt, entgeht den beiden.

Wenn zwei aus sicherer Warte ein aufregendes Ereignis beobachten, wie Shirkan und Rani das tun, so ist es bei uns Menschen ganz normal, dass sie sich darüber unterhalten. Dass Katzen in gleicher Situation nicht auch plaudern, halte ich für extrem unwahrscheinlich. Wenn ich mich konzentriere, glaube ich, verstehen zu können, was unsere beiden Schönen reden.

Shirkan: Miauuu! Das kann man ja nicht mit ansehen, ohne dass man Knoten in die Schnurrhaare kriegt! Das arme Herrchen auf der Folterbank! Ich hätte nie gedacht, dass Frauchen so rabiat sein könnte ...
Rani: Nun halte mal die Luft an, Onkelchen! Du siehst Gespenster. Frauchen foltert das Herrchen nicht; es kürzt ihm doch nur den Kopfpelz. Da hat Herrchen ausdrücklich drum gebeten! Habs selber gehört!
Shirkan: Drum gebeten? Papperlapapp! Niemand, der im Besitz eines klaren Katzenkopfes ist, und das ist unser Herrchen meistens, bittet um so was!
Rani: Großes Katzenehrenwort! Herrchen hat gemeint, bei der Hitze werde seinem Hirn zu warm unter der Matte! Sie müsse weg.
Shirkan: Iiiii! Siehst du, was sie jetzt macht? Das ist der Beweis, dass es doch Folter ist!
Rani: Jetzt krieg mal keine Embolie für nichts und wieder nichts, Onkelchen! Ich gebe ja zu, dass es gruselig aussieht, wenn Frauchen mit diesem blitzenden spitzen Ding in Herrchens Nüstern stochert; aber vielleicht ist sie da auch nur auf der Jagd nach Pelz!
Shirkan: Du willst es nicht einsehen! Frauchen ist keine Heilige, sondern eine Domina!
Rani: Doch eine Heilige!
Shirkan: Eine Domina!
Rani: Eine Heilige!
Shirkan: Eine Do ... Kreisch! Jetzt steckt sie Herrchen das Ding sogar in das rechte Ohr und wühlt drin herum! (Schüttelt sich) Neinneinnein, ich halt das nicht aus! Und was passiert jetzt ...
Rani: (Schüttelt sich ebenfalls) Kreisch!
Shirkan: Kreisch! Jetzt pustet sie ihm aus nächster Nähe in das Ohr! Nein, das hält keine Katze aus! Das ist der Gipfel des Sadismus!
Rani: Ich gebe zu, dass du recht hast! Und Herrchen klappt sein Ohr nicht mal zu! Mäuse-Mumps und Ratten-Rheuma! Ich verstehe die Welt nicht mehr!

Das hört sich bedenklich an. Obwohl Elke an meinem Kopf zerrt, weil sie ihn nach rechts drehen will, schaue ich nach links und werfe den beiden Süßen draußen auf dem Küchenbalkon einen prüfenden Blick zu. Aber alles ist in schönster Ordnung, und die Miezen sehen hochzufrieden aus. Eine bessere Show, so scheint es, haben Shirkan und Rani lange nicht mehr genossen.
Wie es scheint, habe ich mich vertan und das Tuscheln, Wispern und Rascheln im Blätterkleid der großen Blutbuche, die vor den Küchenfenstern braust und wogt, für Katzenkonversation gehalten.

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Beitragvon shirkan » 22.01.2016 23:37

Depesche 121 Mit Schirm, Schale und Balkone

Viele Wochen lang war es bei uns im sogenannten »Kühlen Norden« backofenheiß und trocken wie sonst in der Sahara. Flora und Fauna schmorten bei Temperaturen um vierzig Grad halb ohnmächtig vor sich hin, und viele der mit einem Pelz versehenen Tiere gerieten in Gefahr, überzukochen. Der dick in feinstes Seidengespinst wie in Isolierwolle eingepackte Shirkan verzog sich halbe Tage lang in uns nicht bekannte dunkle und wohl kühlere Winkel und Ecken unserer Wohnung, während die weit weniger winterlich gekleidete Rani stets da anzutreffen war, wo dicht über dem Boden kühle Luftströmungen wehten.

Trotz langjähriger Bemühungen ist es mir bis heute nicht geglückt, zu klären, welche Meinung die Stubentiger von der beliebig wechselbaren Menschenkleidung haben. Mit anderen Worten: Ob ihnen Seidenunterwäsche, Norwegerpullover und Kaschmirmantel, mit denen man auf Klima-Eskapaden reagieren kann, als evolutionärer Vorteil von uns Zweibeinern oder als Zivilisationsmüll erscheinen. Gut möglich, dass es die von mir gesuchte generelle Antwort gar nicht gibt, weil sich die Einstellung der Katzen zu Kleidung sicher mit jedem Wetter ändert.

Wie wenig rational die Stubentiger auf meteorologische Gegebenheiten reagieren und wie ähnlich sie in dieser Beziehung uns Menschen sind, denen am Wetter eigentlich immer etwas nicht passt, wurde deutlich, als das Wüstenklima für ein paar Tage von einem normalen Hamburger Sommer abgelöst wurde. Obwohl sich die Temperatur auf angenehme zwanzig Grad halbiert hatte, waren unsere Katzen nicht erfreut, sondern verstimmt – vor allen, weil ab und zu ein bisschen Regen auf die ausgedörrten Lande fiel. Mittels akustischer Erpressung –- eines zweistimmigen »Määäh- Määäh- Määäh!-Konzerts« ohne Punkt und Komma - zwangen sie das Frauchen, eine der Balkontüren zu öffnen. War das geschehen, starrten sie drei bis vier Sekunden verblüfft auf das ungewohnte und fast vergessene Nass, machten kehrt und rannten zum anderen Balkon, wo sie mit aufgeregtem Gemähe die Tür belagerten, bis Elke sie aufmachte. Und so weiter und so fort ...

Den Katzen war die widersinnige Hoffnung nicht auszutreiben, dass einer der Balkone, wenigstens einer!, trocken sein müsse.

Shirkan nahm es sich sehr zu Herzen, dass die Tonschale, in der er sonst so hoheitsvoll und herrlich hübsch zu thronen pflegt, pitschenass war. Weil er sein im Tropfengeprassel verlorenes photogenes Podium so abgrundtief traurig anschaute, versuchte ich, ihn zu trösten. Ich schlug dem Kater vor, seinem Sitz einen dekorativen kleinen Schirm mit einem modischen Knickgelenk in der Stange zu spendieren, der weitere Überflutungen des Rundsessels verhindern werde und todschick aussähe. Ob ihm das zusage?

Jetzt raten Sie doch bitte mal rasch, geneigter Katzenfan, wie die Antwort unseres felinen Beaus lautete, dessen Vokabular ungeachtet aller meiner langjährigen logopädischen Bemühungen fast zur Gänze aus »Mau« und »Mäh« besteht!

Nun, richtig geraten? Hier des Rätsels Lösung: Shirkans wunderhübschem Mäulchen entsprang etwas, das ich überhaupt nicht auf dem Zettel hatte – ein glasklares, perfekt ausgesprochenes, resolutes »Ja!«

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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 29.01.2016 12:20

Depesche 122 Sitas Souvenir

Heute vor drei Monaten ist meine geliebte Sita gestorben. Ich vermisse sie sehr, und ab und zu raubt mir die Sehnsucht nach ihr immer noch den Verstand. Ich habe es noch nicht gewagt, mein einziges Andenken an sie in die Hand zu nehmen – einen kleinen Briefumschlag mit zwei Dutzend Haaren von meiner großen Schönen, die Elke auf meine Bitte aus meiner Sita-Bürste barg, als die menschenkluge Mieze bereits in den Händen des Haustierbestatters war.

Vor ein paar Tagen fiel mir ganz plötzlich ein, dass ich noch ein zweites Souvenir von Sita besitze, das ich immer bei mir trage - eine etwa 35 Zentimeter lange Narbe mitten auf meinem rechten Oberschenkel!

Der ein bis zwei Millimeter breite helle Streifen ist Folge eines Zwischenfalls, der viele Jahre her, längst vergeben und fast vergessen ist.

Ich erinnere mich, dass ich, wegen heißen Sommerwetters nur mit T-Shirt und Badehose bekleidet, die Katze auf dem Arm trug. Angesichts von Sitas rasierklingenscharfen 18-mm-Krallen hieß das, das Schicksal herauszufordern. Es war in etwa so, als träte ein mittelalterlicher Ritter zur Schlacht im Nachtgewande statt in Kettenhemd und Rüstung an. Denn das große Tier war zwar von ruhiger und freundlicher Wesensart, aber eben doch eine Katze –und damit einer Spezies zugehörig, bei der abrupte Verhaltensänderungen nichts Außergewöhnliches sind.

So geschah es, dass Sita aus Gründen, die sich im Komposthaufen der Geschichte längst zersetzt haben dürften, es plötzlich für unbedingt erforderlich hielt, wieder auf eigenen Tatzen zu stehen. Da ich mit dem laut schnurrenden kapitalen Tier, das wir nur selten hoch zu heben wagten, gern noch ein wenig geschmust hätte, war ich der Meinung, Sitas Abstiegswunsch nicht sofort erfüllen zu müssen.

Das aber war ein Irrtum; meine Oberkatze fühlte sich bevormundet und eingesperrt und ging daran, sich frei zu kämpfen. Natürlich ließ ich sie sofort los, als sie rappelig zu werden begann, und sie glitt, mit den Füßen voran, an mir entlang zu Boden. Dabei fühlte ich ein leichtes Brennen am rechten Bein.

Als das Brennen anhielt, schaute ich an meinem mehr als zwei Meter messenden Corpus herunter – und staunte nicht schlecht. Der Mitte des rechten Oberschenkels entlang verlief fast über dessen gesamte Länge ein wie mit dem Lineal gezogener kräftiger Schnitt, der auf den ersten Blick ganz nach Schlachtermesser aussah und aus dem Blut quoll. Wie es schien, hatte meine Katze sich mit den Hinterpfoten irgendwo abzustützen gesucht, während sie an mir herunter rutschte, und dabei mit einer der gespreizten Krallen meinen Schenkel erwischt.

Das gute alte Hansaplast rettete mich. Die erschreckt herbei geeilte Elke schnitt von einer Ein-Meter-Bahn, wie sie schon seit Urzeiten erhältlich ist, vier oder fünf Mal gefaltet in einer unauffälligen schmalen Pappschachtel, die Hälfte ab und klebte sie auf die fast vierzig Zentimeter lange Wunde. Nichts anderes hätte den kapitalen Kratzer so perfekt verarztet!

Vorsichtshalber duschte ich zwei Tage nicht; aber auch, als ich mich wieder genüsslich unter der Brause zu drehen traute, zeigten die Kleberänder des Hansaplast nicht die geringste Wankelmütigkeit. Welch wohltuender Gegensatz zu den modernen Designer-Streifen, die meist schon abfallen, wenn man einmal heftig niest! Ja, als ich das Mega-Pflaster nach zehn beschwerdefreien Tagen entfernte, musste ich mich anstrengen, um es von seiner Pflichterfüllung abzubringen.

Sita war weder an der Wunde noch dem Verband interessiert. Sie hielt das Gedöhns um das Werk ihrer Kralle für stark übertrieben und sah keinen Anlass für Beschwerden; denn erstens war sattsam bekannt, dass sie nicht gern hochgehoben wurde; zweitens hatte sie ihr Herrchen nicht mit Absicht geritzt, und drittens waren bei dem Unfall neunzehn ihrer Sicheldolche, also fünfundneunzig Prozent der Tatzenbewaffnung, überhaupt nicht zum Einsatz gekommen!

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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 05.02.2016 23:52

Depesche 123 Ein Gläschen in Ehren...

Die Sache mit dem unscheinbaren Gläschen auf dem Küchentisch – das war vielleicht ein Reinfall! Ich habe mich dabei nicht nur bis auf die Knochen blamiert, sondern mich auch einem Verdacht ausgesetzt, den ich ehrenrührig finde: dass ich eine Bettelkatze bin. Dabei habe ich, so wahr ich Rani heiße, mich während der Mahlzeiten der Zweibeiner noch niemals an Unterschenkeln gerieben oder an Kleidern gezupft, damit mir ein Happen gereicht werde!

Das ist nicht nur eine Folge meiner guten Kinderstube, sondern auch eine Konsequenz meiner geschmacklichen Vorlieben. Herrchen und Frauchen mögen mir verzeihen, aber mit dem Zeug, das sie gewöhnlich in sich hinein schaufeln, könnte man mich von St. Pauli bis zur dänischen Grenze jagen. Rindsrouladen? Würg! Bohneneintopf mit Lamm? Kotz! Königsberger Klopse? Brech! Penne al ´Arrabiata? Erbarmen!

Ich habe es mir zur Regel gemacht, am Esstisch niemals etwas anzunehmen, auch nicht von meinem geliebten Frauchen. Nicht einmal Milch rühre ich an! Bin ja schließlich keiner dieser stinkenden vierbeinigen Müllschlucker, die man beschönigend Hunde nennt! Nein. ich bin eine schöne, schlanke, kluge Rassekatze. Ich kann meine sieben Leben selbst in die Hand nehmen und weiß ganz genau, was gut für mich ist und was nicht, und wann ich was aus welcher dieser beiden Sparten verspeisen möchte.

Obwohl bei den Menschen für feine Katzengaumen meist ungeniessbarer Barbarenfraß aufgetischt wird, analysieren wir die Nahrung unserer Zweibeiner sehr genau. Wir unterziehen jedes Gericht einer ausführlichen sensorischen Prüfung mittels unseres phänomenalen Geruchsinns. Damit ist erstens sichergestellt, dass wir wissen, was uns erwartet, sollte uns dieses Menschenfutter einmal angeboten werden, und zweitens, dass etwas ausnahmsweise Delikates nicht unbemerkt durch unser Raster fällt.

Das gilt natürlich auch für Flüssiges. Hier fällt es leichter, den Überblick zu bewahren, weil die Vielfalt des Angebots weitaus geringer ist. Um für den Alltag gerüstet zu sein, muss man lediglich Kaffee, Tee, Fruchtsaft, Wein und Bier, Milch und Wasser auseinander halten können, was wirklich kinderleicht ist.

Die einzige der genannten Flüssigkeiten, von der wir Gebrauch machen, ist das Wasser. Das trinken wir aus einer Vielzahl von Gefäßen –- für die Erfrischung von Frauchen und Herrchen vorgesehenen, kurzzeitig unbewachten Gläsern, bei Elkes Malerei verwendeten Bechern, Kochtöpfen voll geschälter und geviertelter roher Kartoffeln oder Kannen und Eimern zum Gießen der Balkon- und Zimmerpflanzen.

Deshalb war ich auch nur gelinde erstaunt, als mein Frauchen kürzlich zwei winzige Kelchgläser voll Wasser vor mir auf den Tisch stellte. Fassungsvermögen und Größe der Trinkgefäße waren wie für Katzen gemacht, und nur der Stiel, der eine Handhabung durch Kleinraubtierkrallen ausschloß, verriet, dass die Minikelche Menschenfingern vorbehalten waren - die übliche, gegen uns Feliden gerichtete Diskriminierung.

Ich bemerkte, dass ich trockene Lippen hatte. Das trifft sich ja gut, dachte ich mir im Stillen, weil das kühle Nass so nah war und Elke, die mit der Geschirrspülmaschine hantierte, abgelenkt schien. Ich machte mich ganz lang, damit ich meine Zunge in das nächstgelegene Gläschen tauchen konnte, schnüffelte vorher aber noch einmal kurz – zur Sicherheit gewissermaßen.

Das war mein Glück. Denn aus dem vermeintlichen Wasser, das ich um ein Haar geschlappschlappt hätte, stieg ein Dunst auf, der mir wie Feuer durch die Nase bis hoch unter die Schädeldecke schos. Entsetzt prallte ich zurück, blind und taub vor Schmerz und Schreck und überzeugt, dass mir jeden Moment der Kopf platzen werde. Das Erste, das ich hörte, als ich mich aus meiner Beinahe-Ohnmacht aufrappelte, war lautes Lachen - Lachen meines Frauchens! Während mir immer übler wurde, prustete Elke vor Vergnügen. »Aber Mäuschen«, brachte sie mit Mühe heraus, »das ist doch Grappa! GRAPPA, verstehst du?«

Nein, ich verstand nicht! Demonstrativ setzte ich mich so, dass mein Po auf Frauchen zeigte um anzudeuten, wie sehr ich Elke in diesem Augenblick mit meinen dort angesiedelten Organen in Verbindung brachte, während ich meine sieben Sinne ordnete. Grappa! Woher soll ich wissen, was das ist? Bin ich eine Katze oder ein Getränke-Lexikon?

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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 12.02.2016 15:04

Depesche 124 Shirkans Schlaf-Wedeln

Shirkan liegt auf der Kuscheldecke links neben meinem PC und schläft tief und fest. Dass der weiße Kater diesen Zustand vollkommener Entrückung erreicht hat, kann man bei ihm daran erkennen, dass sein Schwanz sich nicht mehr bewegt. Die quicksilbrige Seidenquaste wallt, wogt und wirbelt ansonsten unermüdlich – um so emsiger je wacher der Kater ist, und ruckt und peitscht gelegentlich selbst während »normalem« Schlaf. Sie erinnert mit ihren Bewegungen einmal an den zackigen Dirigierstab eines Tambourmajors, ein anderes Mal an die Grazie thailändischer Tempeltänzerinnen, dann wieder an das Zustoßen eines Giftschlangenkopfes.

Ich freue mich, dass Shirkan meinem Arbeitszimmer die Ehre gibt; denn seit dem Tod meiner Sita, der lebensfrohen Chefin der Dreierbande, habe ich oft allzu lange keinen Katzenbesuch. In einem Anfall von Zärtlichkeit beuge ich mich zu den Tiefschläfer nieder und flüstere so leise, dass er auf keinen Fall aufwacht, weder von den Wörtern noch dem sie begleitenden Lufthauch, gegen den er mimosenhaft empfindlich ist: »Du süßer kleiner Eisbär!« und, nach einer kurzen Pause: »Schlaf schön, mein Katzenprinz!«

Halt! Da hat sich etwas bewegt! Ja, nach jedem der Kosenamen aus meinem Mund hat irgend etwas kleines Helles in der völlig verwaschenen dunkelgrauen Nebelwolke, die leider alles ist, was ich von meinem bildschönen Blauaugenkater sehen kann, reagiert und »gewunken«. Es kann auch sein, dass etwas in rascher Folge seine Helligkeit verändert hat. Aber was?

Wenn man schon nicht mehr zu sehen vermag, sollte man wenigstens noch ein klein wenig denken können. Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil man unwillkürlich versucht, die stetig verschwommener und düsterer werdende Umgebung, die immer mehr Fragen aufwirft, mit dem Verstand zu durchdringen.

Also versuche ich, das Rätsel mit Hilfe der Logik zu lösen, und recht bald ist mir klar, dass es sich bei dem kleinen hellen Ding, das sich in meiner Nebelwelt bewegt hat, um des Katers bleistiftdünne Schwanzspitze handeln muß. Obwohl Shirkan im Tiefschlaf liegt, also praktisch bewusstlos ist, dringen meine Koseworte scheinbar irgendwie durch und veranlassen den grau bepelzten letzten Zentimeter des Seidenschweifes zu einer Minimal-Reaktion.

Einen letzten Test, denke ich, dürfte mir der schöne Kater nicht verübeln, sollte er wirklich erfahren, was sich abgespielt hat, als er selig schlief. Um eine Reaktion der schlafenden Schönheit möglichst wahrscheinlich zu machen, beschließe ich, Shirkan etwas ein zu flüstern, das seine Emotionen nach meiner Überzeugung stärker aufwallen lassen wird als alle Liebesschwüre. Hinter vorgehaltener Hand wispere ich also in sein Ohr: »Gleich bekommt mein feiner Kater eine große Portion frisches Rinderhack!«

Der Katzen-Beau schläft weiter, aber seine Schwanzspitze geht viermal auf und ab.

Na bitte!

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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 22.02.2016 12:47

Depesche 125 Shirkan schlägt zurück

Seit einer kleinen Ewigkeit fühle ich mich kraftlos und matt, schlapp wie ein nasses Frotteehandtuch. Schuld an dem scheußlichen Zustand können nach meinem Dafürhalten nur zwei Bösewichte sein – das Alter und Shirkan.

Ich bin zwar schon ein wenig abgenutzt vergilbt und verschlissen, tippe aber trotzdem nicht auf mein antikes Baujahr, sondern auf den weißen Kater. Denn der Katzenmann mit dem süßesten Gesicht von ganz Hamburg raubt mir seit Wochen den Schlaf -– nicht aus Böswilligkeit natürlich, sondern weil er glücklich ist, wenn ich ihm, ihm ganz allein, zu nachtschlafender Stunde leckeres Fresschen serviere. Um dieser trauten Zweisamkeit willen, die weder das Frauchen noch die kleine Rani „stören“, reißt der Beau mich jede Nacht vier Mal aus den Träumen – das erste, besonders schmerzliche Mal etwa zwanzig Minuten, nachdem ich eingeschlafen bin, und von da an alle anderthalb bis zwei Stunden. Manchmal liege ich lange wach, nachdem ich zurück ins Bett gewankt bin.

Zum Donnerwetter! Jetzt ist Schluss mit der Schlappheit!, beschließe ich, nachdem mir wieder einmal gegen 21.00 Uhr beim Radiohören die Augen zugefallen sind. Nachts fülle ich die Katzenschüsselchen ein letztes Mal, mache meine Schlafzimmertür zu und hechte in die Kissen. Bis ich einschlummere, plagt mich schlechtes Gewissen; denn eine geschlossene Tür ist ein Schlag ins Gesicht jedes aufrechten Stubentigers, eine Beleidigung und Brüskierung obendrein. Es tut mir herzlich leid, dass sich mein Katerchen grämen wird, aber ich möchte endlich ein Mal ein paar Stunden durchschlafen!

Meine Blase weckt mich, und meine sprechende Uhr lässt mich wissen, dass ich mehr als fünf Stunden am Stück geschlummert habe. Ich fühle mich erquickt. Noch einmal eine solche köstliche Dosis Schlaf, teilt mir mein Körper mit, und ich könnte Bäume ausreißen! Zunächst verlangt aber meine Blase ihr Recht. Ich tapere zur Tür, mache sie auf, lasse sie halb offen stehen, taste mich zur Toilette, verrichte mein Geschäft und beeile mich, wieder ins warme Bett zu kommen.

Daraus wird jedoch nichts, denn ich pralle von der Schlafzimmertür zurück. Zu meiner totalen Verblüffung ist sie fest geschlossen, nicht bloß angelehnt. Ich registriere das, bin mir aber zur gleichen Zeit vollauf im Klaren, dass die Tür unmöglich verrammelt sein kann. Vor einer knappen Minute stand sie doch noch offen! Wer soll sie heimlich, still und leise zugedrückt haben, während ich pinkelte? Der Klabautermann?

Eine halbe Minute stehe ich da wie der sprichwörtliche Ochs vor dem Berg (oder wie ein paar Stunden zuvor, so ist zu vermuten, der von mir ausgesperrte Shirkan), dann explodiert das Gemisch aus Müdigkeit, Ratlosigkeit und Ärger in mir, und ich werfe meine zwei Meter und die dazu gehörigen 95 Kilo gegen das hölzerne Hindernis. Und tatsächlich schwingt die Tür auf.

Beim ersten Schritt Richtung Bett gerate ich ins Straucheln, weil sich meine Füße in einem Haufen loser Auslegeware verheddern.

Dieses auf Wanderschaft befindliche Teppichbodenareal spielt eine Schlüsselrolle in meiner ganz persönlichen Erklärung der mysteriösen Vorkommnisse. Der ausgesperrte Kater ließ, so habe ich mir überlegt, seinen Frust wie üblich an dem von Katzenhand bereits stark vorgeschädigten Bodenbelag aus, riss und fetzte, bis er vor der Tür ein ansehnliches Stück Auslegeteppich losgerissen hatte. Während ich im Bad weilte, sorgte irgend jemand – die Heinzelmännchen, der Zufall oder der bereits angesprochene maritime Kobold - dafür, dass ein Teil des Gummiflors ins Schlafzimmer wanderte. Dort schob es sich unter die offen stehende Tür, die sodann über die normale und die zusätzliche Teppichlage hinweg mit Kraft zugedrückt wurde, worauf sie festsaß und mir verschlossen erschien.

Wer da heimlich Hand angelegt hat, weiß ich nicht.

Höre ich meine hoch verehrten Leser murren, maulen und motzen? So etwas sei unmöglich? Spökenkiekerei? Alles nur geträumt?

Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie wissen, was passiert ist, so teilen Sie mir das freundlicherweise mit. Ich bin gespannt!

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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 30.03.2016 14:18

Liebe Depeschianer/innen,

Sie haben sicher bemerkt, dass ich in den letzten vier Wochen nur noch vereinzelt Depeschen veröffentlicht habe. Das liegt einerseits daran, dass durch den Tod Sitas aus der Dreier- eine Zweierbande wurde und Gerd nicht mehr genügend Stoff für seine reizenden kleinen Geschichtchen findet, er andererseits vor kurzem in seiner Wohnung stürzte und sich einen Wirbel brach. Er wurde in der vorletzten Woche operiert und befindet sich zurzeit in der Reha. Bereits vorher fiel ihm das Schreiben immer schwerer und schwerer, weil sein Körper nicht mehr so wollte wie er sollte.
So ist es an der Zeit Sie, liebe Leserinnen und Leser, nach nahezu drei Jahren (17.09.2013), langsam und behutsam darauf vorzubereiten, dass die Depeschen demnächst zuende gehen. Wenige habe ich noch im Vorrat, die veröffentliche ich in den nächsten Wochen.
Danach wird es natürlich auch einen zweiten Band der "Depeschen der Dreierbande: 61-120" als Ebook geben, gleichzeitig werde ich sämtliche Depeschen dieses Bloggs auf Cattalk löschen.
Wer dann von Ihnen die Depeschen noch lesen oder weiter empfehlen möchte, darf dann gerne Band I oder II im Internet bestellen.

Ich hätte Ihnen gerne freudigere Nachrichten gesendet.
Michael Schneider

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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 31.03.2016 16:20

Depesche 126 Der weiße Kater und die Spargelsuppe

Im Wonnemonat Mai, mild, hoffnungsvoll, grün und erdbeerfroh, hatte Elke eine kulinarische Vision: Spargelsuppe im Winter.

Wenn sie fürderhin Spargel garte, was sie heuer so oft tat, wie wir uns das schon seit Jahren vorgenommen hatten, zweigte sie nach erfolgter Garung der weißen Wurzeltriebe immer mal wieder einen halben Liter des Kochwassers ab und fror ihn ein. In der dunklen und kalten Jahreszeit würde sich aus der Brühe, so der Plan, mit Creme fraiche und den anderen üblichen Zutaten eine originalgetreue Spargelsuppe komponieren lassen.

Die Premiere wurde im Oktober gefeiert. Elke hatte justement zwei Tassen der neuen Kreation aufgetragen, als Shirkan, unser blauäugiger British-Shorthair-Kater, auf der Bildfläche erschien. Sein Auftritt war, nehme ich an, quasi dienstlicher Natur; denn ohne Shirkan läuft bei uns in Sachen Asparagus nichts. Es wäre nicht übertrieben, ihn als unseren Spargel-Oberinquisitor zu bezeichnen.

Genießer meiner Depeschen, die sich diese mit der ihnen gebührenden Aufmerksamkeit auf der Zunge zergehen lassen, werden sich erinnern, dass der Kater dem Frauchen beim Spargelschälen genau auf die Finger schaut und dabei immer mal wieder eine oder zwei der weißen Schalen knabbert, um für seine Kontrollaufgabe geistig frisch zu bleiben.

Aber zurück zum Auftritt des Katzen-Beaus. Von seinem hübschen Näschen geleitet, schnürte unser weißpelziger Spargel-Kenner eilig auf die Tasse zu, machte einen langen Hals, blieb aber drei Zentimeter vor dem Ziel stehen. Eigentlich war jetzt längeres Zaudern und Zögern angesagt; doch Elke verhinderte, dass Shirkan wie so häufig von seinen Überlegungen und Abwägungen gebremst wurde und tupfte ihm einen Klecks Suppe mitten auf das Näschen. Sofort kam die Zunge und schleckte die Spargelcreme fort.

Mit angehaltenem Atem warteten Frauchen und Herrchen, was nun passieren würde. Würde der Kater wieder einmal singen, eine seiner kunstvoll-komischen, aber ach so seltenen Begeisterungs-Arien zum Besten geben? Idealer konnten die Bedingungen kaum sein.

Ein Beben ging durch den Seidenpelz, dann ertönte in zarten Wiener-Sängerknaben-Sopran Shirkans Opus 3: »Auwauwauwauwauwauwauwauwauwauwauwauwauwauwauwauwauwauwauwau« Ein Au und neunzehn Waus – ich habe mitgezählt!

Elke und ich konnten uns kaum halten vor (freudigem) Lachen. Einmalig, unser Katzen-Caruso!

Obwohl von Lachkrämpfen geschüttelt, schaffte es Elke, dem Kater noch zwei Mal ihre in die Spargelsuppe getauchte Fingerspitze zu präsentieren - und jedes Mal leckte und sang er! Während Shirkan bei früheren Begeisterungs-Bekundungungen, die von Milch und Schlagsahne ausgelöst wurden, scheinbar wahllos Silben aneinanderreihte, wahrte er dieses Mal streng eine neu erdachte Form: Alle drei »Oden an die Freude« bestanden aus einem Anfangs-Au und neunzehn angehängten Waus!

Da capo, Maestro!

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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 07.04.2016 22:07

Depesche 127 Ein Briefchen an Sita

Liebe Sita,
jetzt bist du schon fünf Monate tot, und noch immer weigert sich etwas in mir, mein Herz, mein Verstand oder etwas anderes in dieser Kategorie, das zu akzeptieren. Du warst der Inbegriff von Lebenslust, Lebensgenuß und jugendlicher Lebenskraft, und nichts passte weniger zu dir als der Tod.

Ich vermisse dich sehr. Ohne dich ist mein Zimmer öde, und meinem Herzen geht es kaum besser. Mir fehlt unsere Zwiesprache, deine Schönheit, deine Zuwendung und Nähe, dein jubilierend tosendes Schnurren, deine Klugheit, dein nur schwer zu stillender Hunger und dein willkommen heißender Papageienkrächzer. Es tut einfach weh, ohne dich zu sein!

Ich war sicher, dass du dich bald nach deinem Tod bei mir melden würdest, so wie Ela das getan hat. Ich habe dir bestimmt erzählt, dass ich wenige Tage nach ihrem Übertritt in den Felidenhimmel in meiner total katzenfreien Wohnung aufwachte, weil eine Mieze mit großer Hingabe mein linkes Knie beschmuste. Das kann nur das alte Grauchen gewesen sein.

Du hast sicherlich deine Gründe, dass du noch keinen Kontakt aufgenommen hast. Mir fallen zwanzig verschiedene Anlässe dafür ein, über die du dir wahrscheinlich einen Ast lachen würdest. Da ist es das Beste, lieb an dich zu denken, zu hoffen und zu warten.

Ich schick dir meine Liebe, wo immer du bist. Ich vermisse dich so!

Wenn es mir schlecht geht, denke ich daran, wie tapfer du warst, und wie herrlich du dich gefreut hast, wenn es Futter gab.

In Liebe
Dein dich vermissendes Herrchen



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