Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Ob dramatisch, trivial, spannend oder emotional: Erzählungen von und mit Katzen
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hildchen
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Re: Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon hildchen » 16.10.2015 10:49

Es tut mir von Herzen leid. :cry:
Mein einziger Vorsatz für 2020: Ich will mir nicht mehr alles gefallen lassen!


shirkan
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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 20.10.2015 19:35

Liebe Depeschianer,
bald sind 20.000 Besucher für die Dreierbande erreicht!
Ihnen allen ein herzliches Danke für ihr Interesse.

Am Donnerstag folgt garantiert die nächste Depesche ...

shirkan
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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 22.10.2015 23:46

Depesche 112 Sita ist krank 3. Sechs Tage später

Bevor die mobile Veterinärin Sita zum zweiten Mal aufsuchte, bekamen wir einen kleinen Vorgeschmack von einer Katzenpanik. Um der vierbeinigen Patientin habhaft zu werden, müssen sowohl das Fluchtareal als auch die Zahl der Verstecke drastisch verringert werden. Also lockte Elke die Mieze in die Küche, beschäftigte sie mit Futter und klappte hinter dem Rücken des speisenden Tieres die Türen von Arbeits-, Schlaf- und Wohnzimmer zu!

Sofort brach in der Dreierbande die katzentypische Geschlossene-Tür-Panik sowie nackte Platzangst aus, obwohl weiterhin freier Zutritt zum Badezimmer, dem weiträumigen Flur und der Küche bestand. Gar nicht mehr so cool wie auf Elkes Bandido-Fotomontage kratzten die Mitglieder der felinen Gang panisch an den verschlossenen Türen und miauten aufgeregt. Die kranke Sita schlug, man mag es kaum glauben, sogar ihre Krallen in den Teppichboden vor meinem Schlafzimmer, wo sie seit ein paar Tagen unter dem Bett Quartier bezogen hat, und hob etwa drei Quadratmeter Einlegeware hoch! Wir saßen wie auf heißen Kohlen und waren heilfroh, als nach einer Dreiviertelstunde Wartestress die Ärztin endlich eintraf.

Frauchen hob Sita auf den Küchentisch, die Veterinärin warf einen Blick auf die kranke Tatze, dann riss sich das kätzische Kraftpaket los, sprang vom Tisch und lief davon.

Gern hätte ich ebenfalls Reißaus genommen; denn die Ärztin erklärte, es sei Krebs! Die Geschwulst in der Pfote sei seit ihren ersten Besuch vor einer Woche um das Doppelte gewachsen!

Später lag ich im Bett und lauschte Sitas Schnarchliedern. Ich versuchte zu fassen, dass diese herzensgute Katze, die so viele Jahre auf meinem Schreibtisch gewohnt, mit mir gespielt, aus meiner Hand gegessen, mich angeschnurrt und unter meinem Bett geschlafen hatte, an Pfotenkrebs sterben würde! Die Katze, die ein wichtiger Angelpunkt meines immer blinder werdenden Lebens war und den düsteren Tagen so oft Sinn gegeben hatte und die ich liebte, wie eine meiner Freundinnen aus meinem vorigen, sehenden Leben, würde an solch einer überflüssigen, dummen, schäbigen, hundsgemeinen Sache sterben!

Ich lag sechs Stunden da und heulte Rotz und Wasser.
Zuletzt geändert von shirkan am 29.10.2015 23:13, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon hildchen » 23.10.2015 09:21

Mir fehlen die Worte, es tut mir so leid!
Bitte holt Euch eine zweite Meinung, vielleicht lässt sich ja doch noch etwas machen für die Süße!
Mein einziger Vorsatz für 2020: Ich will mir nicht mehr alles gefallen lassen!

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Re: Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon Flava » 23.10.2015 12:48

:cry: Sita ist mir über die Depeschen richtig ans Herz gewachsen, ich hoffe immer noch, dass sie behandelt werden kann!


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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 23.10.2015 20:04

Hallo liebe Flava,

natürlich holen die Schusters eine zweite Meinung ein.
Aber danke für den Tipp.
In diesem Sinne, wir hoffen weiter ...

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Re: Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon hildchen » 23.10.2015 21:49

Ich glaube, ich spreche hier nicht für mich allein: Wir hoffen mit und drücken alle feste Däumchen für Sita, und eine ganze Menge Pfötchen werden auch gedrückt! :s1958:
Mein einziger Vorsatz für 2020: Ich will mir nicht mehr alles gefallen lassen!

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Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon shirkan » 29.10.2015 23:11

Depesche 113 Sita ist krank 4. Zehn Tage später

Mir ist, als hätte jemand meine Innereien ein paar Mal durch die Wäschemangel gedreht. Schuld ist die emotionale Achterbahnfahrt wegen Sita.

Nachts köchelte ich zunächst ein paar Stunden lang im eigenen Angstschweiß, weil die Katze unterm Bett die schauerlichsten Leidens- und Sterbegeräusche produzierte: Lang gezogenes gequältes Wimmern, ersticktes röchelndes Fiepen und kraftloses erbärmliches Weinen. Mir war vollkommen klar, dass es sich höchstwahrscheinlich nur um Schnarchen handelte; aber ich lag wach und konnte an nichts Anderes denken als an den in Sitas Pfote wachsenden Tumor.

Dann das Kontrastprogramm: Als Frauchen ein paar Stunden später ins Schlafzimmer trat, um unserem Kätzchen seine tägliche Schmerztablette, eingepackt in ein Stück der allerleckersten Katzenstangen, zu verabreichen, trippelte ihm eine erwartungsvoll miauende Sita entgegen, die den Rest des Leckerli heißhungrig verschlang und ihr zu einem »richtigen« Mahl in die Küche folgte! Ich freute mich wie verrückt!

Nach Mitternacht schließlich kletterte Sita auf meinen Fußhocker, wolfte eine doppelte Portion der Fangspiel-Brekkies weg, trank aus meiner Hand eine halbe Schale Wasser, dauerschnurrte und blieb drei Stunden. Ihr »böses« Bein hielt sie ausgestreckt, und sie wechselte ihre Lage häufig, als störe sie etwas. Ich glaube aber nicht, dass sie von irgendwelchen ernsthaften Schmerzen geplagt wurde.

Es war schön, das vertraute Kätzchen, das sich ja ein paar Tage nicht unter dem Bett hervor gewagt hatte, wieder so nahe bei mir zu haben.

Aber Elke sagte mir später, Sitas Unterlage sei voller Blutstropfen gewesen!

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Re: Depeschen von der Dreierbande von Gerd Schuster

Beitragvon Khitomer » 30.10.2015 15:41

Wie steht es mit der 2. Meinung? Wurde darüber nachgedacht, die Pfote amputieren zu lassen? Das ist eine Möglichkeit, falls der Krebs noch nicht gestreut hat. Es lebt sich weit besser mit 3 Beinen als mit Krebs. Ich drück Sita weiter die Daumen.
Liebe Grüsse, Khito
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Beitragvon shirkan » 30.10.2015 18:18

Danke für die Nachfrage. Alles katzenmögliche wird getan ...

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Beitragvon shirkan » 07.11.2015 16:27

Depesche 114 Sita ist krank 5. Sechzehn Tage später

Vorgestern haben wir uns gefreut, dass Sita ihr »Krankenzimmer« verließ, um einmal ein paar Minuten auf dem Flur zu sitzen und einmal in die Küche zu wandern und Futter zu verlangen. Gestern waren wir entzückt, dass das todgeweihte Kätzchen längere Zeit im Wohnzimmer auf einem Bogen des geheimnisvoll knisternden Seidenpapiers aus dem Blumenladen lag, das dem Katzenbauch sooo viel Wonne zu schenken scheint, sich auf Herrchens Fußhocker liebkosen ließ und später zu Frauchen ins Bett sprang. Heute war Sita überhaupt nicht mehr wieder zu erkennen. Sie durchmaß die Zimmer, lag auf dem Blumenpapier, verlangte mehrfach Futter und verschlang es, sprang auf dem Balkon beim Spielen mit einer verblühten Grasnelke, mit der Elke sie zu animieren suchte, mit beiden Vorderpfoten (!!!) zugleich in die Luft, hechtete zwei Mal auf meinen 1,10 m hohen Schreibtisch, legte sich auf ihr dortiges langjähriges Bett - den Pappkarton meiner Ersatz-Tastatur, ohne allerdings eine Schlafposition zu finden, bei der die kranke Pfote nicht schmerzte, legte sich auf die Tischplatte, – sprang wieder zu Boden, humpelte, fraß - und blutete ...

Ich hätte mich freuen können, dass mein Liebling so aktiv war; aber ich war traurig. Sita hatte erkannt, dass sie sterben musste und wollte mir zuliebe den Eindruck erwecken - oder sich selbst und ihrem angsterfüllten Herz beweisen -, dass alles in bester Ordnung sei. Vielleicht wollte sie aber auch noch ein letztes Mal all die lieb gewonnenen Dinge auskosten, die ihr bald verschlossen sein würden.

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Beitragvon shirkan » 12.11.2015 22:14

Depesche 115 Sita ist krank 6. 23 Tage später

Eine lange, traurige Woche ist vergangen, und die tapfere Sita hat sich weiterhin bemüht, uns zu beruhigen und uns vorzuspielen, dass sie nicht ernsthaft krank sei. Am Dienstag sprang sie wie eh und je in Frauchens soeben frisch bezogenes Bett und thronte dick und breit und selbstbewusst auf den duftenden Kissen. Am Mittwoch tat sie etwas, das sie vorher, jünger, schlanker und mit heilen Tatzen, niemals gewagt hatte: Sie sprang in den »Winkel ohne Wiederkehr«, einen kaum zugänglichen und noch schwerer zu verlassenden verwinkelten Hohlraum, der von den Schmalseiten meiner beiden übers Eck stehenden Schreibtische und der Wand gebildet wird.

Will eine Katze raus aus dem klaustrophobischen Eck, hat sie nur eine Wahl: Einen schwierigen Steilsprung aus dem Stand auf den Heizkörper mit Abgang über die scharfen Oberkanten der Heizlamellen. Elke, die Sita füttern wollte und sie überall gesucht hatte, beobachtete erstaunt, wie die Katze, die wer weiß wie lange auf ihre Entdeckung an diesem Ort gewartet hatte, alle Hindernisse meisterte.

Es macht uns sprachlos vor Staunen und stumm vor Bewunderung. Setzt diese Beruhigungs-Show im Angesicht des Todes nicht unendliche Weisheit, Liebe und eine seelische Tiefe voraus, wie man sie unter Menschen kaum je findet?

Am Donnerstag kam das invalide Humpelkätzchen ganz aufgeräumt auf den Fußhocker vor meinem Sessel, aß viele Brekkies, trank ein Schüsselchen Wasser und ließ sich lange streicheln. Ich war total happy, aber als Sita ging, war das von Elke ausgelegte Küchenpapier dort, wo sie gelegen hatte, voller Blut!

Es bricht einem das Herz, und man wird wunderlich und meschugge, oder beides. Ich werde von scheußlichen Zwangsvorstellungen und Nachtmahren heimgesucht, sehe Sita in Blutlachen liegen, und mich plagt schlechtes Gewissen, wenn ich dem kranken Kätzchen das hübsche Trösteliedchen »Heile, heile Segen, drei Tage Regen, drei Tage Sonnenschein, dann ist das Pfötchen wieder fein ...« singe, das eine Heilung verspricht, die es nicht geben wird.

Es schmerzt mich sehr, dass ich wegen meiner immer absoluter werdenden Blindheit so vieles nicht mehr tun kann, das für Sita und mich viele Jahre lang selbstverständlich war (wollte ich mich in meiner Schwärze niederbeugen, um ihren Kopf zu streicheln, so würde ich mein äußerst prekäres Gleichgewicht verlieren und auf die Schnauze fallen!) und die Katze das als Desinteresse oder Lieblosigkeit missverstehen könnte.

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Beitragvon shirkan » 20.11.2015 12:23

Depesche 116 Sita ist krank 7. 30 Tage später

Wenn ich ein Motto von Sitas vergangener Woche prägen darf, ohne durch meine Keckheit die dumpfe Brutalität der blutrünstigen Mächte des Schicksals herauszufordern, die meinem Dickerchen so übel mitgespielt haben, so würde meine Wahl auf das Wort »aufgeräumt« fallen. Frauchen hat es mehrfach benutzt, um das Aussehen der kranken Sita zu beschreiben. Die erstaunt und beglückt uns immer wieder, indem sie so tut, als habe sie sich die linke Pfote nur ein wenig verknackst. Sie tritt immer häufiger und selbstverständlicher außerhalb ihres »Krankenzimmers« auf und ist weiterhin bemüht, mit sportlichen Paradeleistungen zu beweisen, dass ihr nichts fehlt.

Allein gestern unternahm sie mindestens drei Spaziergänge, die sie in sämtliche Zimmer der Wohnung führten. Nach Elkes Worten vollführte sie darüber hinaus einen rasanten Alarmstart aus dem Katzenklo im Badezimmer und sprang wie ein junges Kätzchen in den Schlund eines offen da stehenden Pappkartons und auf die Fußhocker im Wohnzimmer und bei mir. Außerdem aß sie beherzt, vor allem dann, wenn Elke ihr das Schüsselchen hielt und drehte, das sie exklusiv mit Sitas Lieblingsleckereien füllt.

In der Nacht auf Samstag kehrte unsere Patientin meinem Schlafzimmer den Rücken, in dem ich einen Monat lang besorgt ihren Atemzügen gelauscht hatte, und zog zu Elke. Das war überfällig und nur katzenkonsequent, weil Frauchen sich ganz besonders liebevoll um Sita kümmert, während ich blinder Dämlack gezwungenermaßen untätig im Hintergrund herumhänge und höchstens noch auf die Bandenchefin trete, wenn sie, wie seit ein paar Tagen Usus, für mich unsichtbar mitten im Flur sitzt.

Als wäre nichts geschehen, sprang Sita in Elkes Bett und humpelte in ihre Arme!

Bei der rituellen Hackfleischorgie am Samstag wolfte unser Sorgenkind zweimal eine XXL-Portion weg, wollte oder konnte aber den Küchentisch erstmals nicht aus eigener Kraft erklimmen.

Ich beobachte mit Kummer, Staunen und stetig wachsender Hochachtung für Sita, was geschieht. Nur selten kann ich mich von der scheußlichen Zwangsvorstellung befreien, wie der verfluchte Tumor in Sitas schneeweißen Pfötchen wächst und wuchert und seine gefräßigen Ausläufer nach Nerven, Blutgefäßen und Knochen ausstreckt.

Meinen Händen und meinem Herzen fehlt Sitas nach Streicheln dürstender Körper täglich mehr, ihr wohlbekanntes Fell, ihr weicher Bauch mit seinen Zitzchen, die stets am gleichen Ort, aber scheinbar doch immer woanders sind, ihre freundliche Liebe und ihr schnurrendes Dahinschmelzen.

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Beitragvon shirkan » 26.11.2015 23:16

Depesche112_Eine_Show_fuer_Sita_P1120541.jpg
Depesche 117 Eine Show für Sita

Die kranke Sita liegt lang ausgestreckt im Wohnzimmer und betrachtet aufgeräumt und amüsiert etwas, das Elke, die auf dem Flur vorbei geht, nicht sehen kann. Das liebe Frauchen, das sich herzlich über jede Zerstreuung freut, der unser Kummerkätzchen teilhaftig wird, das die meiste Zeit in einer dunklen Ecke liegt und schläft, wird von Neugier ergriffen. Was geht da über die Bühne, das Sita so gut unterhält? Leise tritt sie ein und riskiert einen Blick.

Nanu? Elke, die insgeheim mit einem spektakulären Unterhaltungsprogramm gerechnet hat wie etwa Trampolin springenden himbeerroten, apfelgrünen und himmelblauen Mäusen, stutzt zunächst; denn Sitas wunderschöne grüne Augen ruhen auf einem Gegenstand, der aussieht wie ein nachlässig eingepackter kleiner Brotlaib, zwei Baguette-Hälften oder ein paar zusammengerollte T-Shirts. Was in aller Welt findet die Katze an diesem Objekt nur so spannend?

Ein paar lange Augenblicke ist das Frauchen vollkommen perplex; dann entdeckt es, dass an der von ihm abgewandten Schmalseite des Gebindes etwas hin und her schlägt. Man könnte die Taktfrequenz durchaus als »nervös« bezeichnen.

Eine nähere Inspektion erbringt ein gänzlich unerwartetes Resultat: Was da das bei den Stubentigern so ungemein beliebte Seidenpapier aus dem Blumenladen peitscht, ist die Spitze von Shirkans ruhelosem Schwanz! Woraus folgt, dass es sich bei dem vermeintlichen Brot um unseren weißen Blauaugenkater handelt!

Es ist zu vermuten, dass die Gedanken von Elke jetzt in sehr ähnlichen Bahnen verlaufen wie vorher Sitas Überlegungen: Wie hat der Kater es nur geschafft, den Seidenpapierbogen so über sich zu breiten beziehungsweise so geschickt unter ihn zu schlüpfen, dass nicht nur kein verräterisches weißes Haarbüschel hervorschaut, sondern die Seitenränder von Blumenpapier und Kater so genau übereinstimmen, als habe Shirkan mit dem Lineal gearbeitet? Wann und wo war der kleine Eisbär zum Verpackungskünstler geworden, zum Performance Artist?

Wir werden es nie ergründen, fürchte ich. Weitaus wichtiger als die Lösung des Rätsels ist mir ohnehin, dass der verpackte Kater mein todkrankes Kätzchen ein wenig abgelenkt, unterhalten und amüsiert hat.
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Beitragvon shirkan » 04.12.2015 23:27

Depesche 118 Sita geht auf die große Reise

Unsere Welt hat Sprünge bekommen. Breite Spalten und Risse tun sich auf, wo eben noch fester Grund und Boden zu sein schien. Ein großes Loch klafft in meinem Herzen, und ich vergieße Wasserfälle von Tränen. Nichts ist mehr, wie es vorher war, denn Sita, unsere große, schöne, kluge, tapfere und herzensgute Katze, ist tot.

Ja, tot, wirklich tot. Obwohl wir wussten, was kommen würde, können wir es überhaupt nicht fassen. Shirkan und Rani sind ebenfalls völlig verstört. Denn nichts passt weniger zusammen als die sinnenfrohe, vor Energie, Eleganz und Kraft strotzende, allen Genüssen des Lebens gegenüber mehr als aufgeschlossene, immer freundliche und fröhliche Sita mit ihrem Ranzen aus Gourmet-Speck und der Tod.

Das Ende vom Ende unserer wunderbaren Hausgenossin, dessen Beginn nun schon mehr als einen Monat zurückliegt, nahm seinen Anfang am Sonntag, dem 35. Tag meiner Zeitrechnung. Die Auspizien waren ausgesprochen schlecht gewesen: Am Freitag war Sita bei dem Versuch, sich und uns durch einen Sprung aus vollem Lauf auf den Küchentisch erneut zu beweisen, dass kein Anlass zur Sorge bestand, ganz fürchterlich abgestürzt und zu Boden gekracht, weil ihre kranke Pfote sie nicht mehr hatte halten können. Zwar beruhigte die Kummerkatze uns ein wenig durch ihren weiterhin überaus gesunden Appetit bei der folgenden samstäglichen Rinderhack-Fiesta, zu der sie erneut auf den Tisch gehoben werden musste; diesem Sonnenstrahl folgte aber das Desaster. Am Sonntag entdeckte Elke voller Entsetzen, dass der Tumor auf den »Handrücken« des schon auf mehr als die doppelte Größe angeschwollenen kranken Pfötchens durchgebrochen war und das schneeweiße Fell mit Metzgerfarben verunzierte.

In uns wuchs die schmerzliche Gewissheit, dass wir unser tapferes Schätzchen, das nie klagte, seine kranke Tatze in anrührender Weise ratlos vor sich hertrug, Elke zur Essenszeit glücklich piepsend entgegen humpelte, ganz besonders laut schnurrte und heißhungrig zulangte, nicht länger leben und leiden lassen durften – so wenig wir uns auch vorstellen konnten, ohne unsere große grünäugige Mieze zu sein.

Die Stunden bis zum Anruf bei der Tierärztin am Montagmorgen wollten einfach nicht vergehen. Würde Dr. M. im Lande sein oder auf Urlaub? Würde sie sofort herbei eilen und unsere Sita tot spritzen? Dieser Gedanke war genauso unerträglich wie der, das Martyrium weitergehen zu lassen.

Endlich war es neun Uhr, und Elke konnte anrufen. In der Praxis meldete sich nur der Anrufbeantworter. Auf heißen Kohlen warteten wir auf den Rückruf. Als der nicht kam, versuchte Elke es auf dem Handy und erreichte die Ärztin. Sie war krank, würde uns aber am nächsten Morgen aufsuchen, dem 37. Tag meiner Sita-Zeitrechnung.

Jetzt, wo der Termin der Hinrichtung feststand, verging die Zeit noch langsamer als am Vortag. Obwohl es keinen Ausweg gab, quälte mich mein Gewissen, und ich kam mir wie ein gemeiner Verräter vor, der Sita in der Stunde ihrer größten Not nicht nur im Stich ließ, sondern obendrein ans Messer lieferte.

Wenn die Katze in den Flur oder ins Wohnzimmer humpelte oder ich nachts ihren Atemzügen lauschte (seit etwa einer Woche schnarcht meine Schöne nicht mehr, und ich frage mich, ob sie neuerdings lautlos schläft oder nur noch döst, ihre Schmerzen weg zu meditieren sucht und ihre Wunden leckt), kam ich mir ganz besonders schäbig und schmutzig vor.

Es war ein kleiner Trost, zu erfahren, dass Elke von ganz ähnlichen Gefühlen gepeinigt wird. Einmal ruhten unsere tränenfeuchten Augen auf Sita, die den Fußhocker des Wohnzimmer-Ohrensessels erklommen hatte, trafen sich dann, und Elke schluchzte: »Ich komme mir wie ein Katzenmörder vor!«

Dann war es tatsächlich so weit, und die Tierärztin traf ein. Elke ging mit dem allerletzten liebevollen Futterliedchen für Sita ins Schlafzimmer, und als das kranke Kätzchen erwartungsvoll schnurrend und piepsend aus seinem Schlupfwinkel humpelte, gab Dr. M. ihr eine Narkosespritze, trug sie in die Küche und legte sie vor mir auf den Tisch. »Sie schläft ein!« beantwortete sie meine tränenerstickte Blindenfrage, wie es Sita gehe, und ich griff mit einer verzweifelten Art von Torschlusspanik nach meinem wohlbekannten, warmen, weichen, wundervollen, waidwunden Liebling und streichelte, streichelte, streichelte ...

Zum allerersten Mal empfand ich es als Vorteil, dass ich blind bin und nicht sehen konnte, wie sich Injektionsnadeln in meine geliebte Sita bohrten oder wie ihre wunderschönen Augen brachen.

Die Veterinärin hatte das Kätzchen auf seine linke Seite gebettet, die es selber seit Wochen wegen des schmerzenden linken Beins gemieden hatte, und so konnte ich meinen in die Ewigkeit hinüberschlummernden Liebling endlich wieder so am Bäuchlein liebkosen, wie wir beide das viele Jahre lang perfektioniert hatten, während ich blind wurde, und wie ich es deshalb am besten konnte.

Ich war wie in Trance, zutiefst erschüttert, tränentaub und ganz auf die Bedeutung und Einmaligkeit des Augenblicks fixiert, sodass mir völlig entging, wie Sita noch einige Injektionen Narkosemittel erhielt. Aber sie atmete immer weiter und wollte einfach nicht sterben. Schließlich bettete die Veterinärin unser tapferes Kätzchen in eine dunkle Ecke im Flur, »damit sie allein ist und endlich loslassen kann«! Es brauchte aber noch eine letzte Spritze, um Sitas Kämpferherz zur Aufgabe zu zwingen.

Die nette und einfühlsame Dr. M., die, wie ich später erfuhr, Sita anderthalb Stunden lang umsorgte und ihr in dieser Zeit vier bis sechs Spritzen gab, sagte, solch ein starkes Katzenherz sei ihr in ihrer gesamten Laufbahn noch nie begegnet. Sita hätte sicher noch viele Jahre gelebt, wenn der Krebs nicht dazwischen gekommen wäre. Der hatte, wie Elke mit Grauen sah, das gesamte Innere des linken Pfötchens aufgefressen und den Raum, den sonst die Bällchen einnahmen, lückenlos mit seinen Wucherungen angefüllt. Wenn Sita diese Tatze benutzte, war nacktes Krebsfleisch ihre Fußsohle – auch in der scharfkantigen steinernen Streu ihres Klos!

Die Tierärztin verabschiedete sich, und wir blieben fassungslos mit dem Körper unserer großen Schönen zurück, aus dem Dr. M. gerade mit so viel Mühe jenen unerklärlichen göttlichen Hauch vertrieben hatte, den man so leichthin »Leben« nennt. Wir wussten, dass Sita tot war, konnten es aber nicht glauben oder akzeptieren. Alles, was wir konnten, war trauern und weinen.

Um elf kam eine hochgewachsene, füllige junge Dame, die Abgesandte des Einäscherungs- und Begräbnisinstitutes für Haustiere. Auch sie war sehr einfühlsam, und die ansonsten so scheue und reservierte Rani strich gleich um ihre Beine. Sie bettete das Kätzchen, das wir gerade verloren hatten, in einen geschmackvollen Weidenkorb und hieß Shirkan und Rani Abschied von der großen Tante nehmen. Und tatsächlich standen die beiden andächtig Seite an Seite vor dem Korb und schauten unsere, ihre Sita lange schweigend an.

Es war wieder ein Abschied, schon der zweite oder dritte an diesem schrecklichen Morgen, und alle davon so unendlich endgültig, dass es einem das Herz zerriss! Ich kniete vor der Katze nieder, die mir fast neun Jahre lang Zuneigung, Wärme, Nähe und Glück geschenkt hatte und die mich sehr bald auch körperlich für immer verlassen würde, drückte mein Gesicht in das warme Fell und heulte laut.

Bald wurde mir bewusst, dass rechts neben mir noch jemand weinte und schrie. Es war verblüffenderweise Shirkan, der an meiner Seite hockte und mit verzweifeltem »Määäääh! Määäääh! Näääääh!« seinen Kummer hinausbrüllte.

Du lieber weißer Blauaugenkater, das werde ich dir nie vergessen!

Die Dame mit dem Korb verabschiedete sich, die Wohnungstür klappte zu, und wir beiden Menschen und beiden Katzen saßen da und kamen uns übrig geblieben vor und so allein wie seit vielen Jahren nicht mehr. Wir fühlten, dass uns, zusammen mit Sita, etwas Großes, Wichtiges verlassen hatte, das nicht-stofflicher Natur sein musste, da wir wohl seine Abwesenheit spüren, es aber nicht sehen und nicht einmal beim Namen nennen konnten. War es die Aura ihrer überlebensgroßen Persönlichkeit, ein Fluidum ihrer Präsenz, das Bestand hatte wie der Lavendelduft, der sich auch in trockenen Zweigen hält, die Kraft ihrer Liebe, oder der Geist, der sich hinter diesen zehnmal klugen grünen Augen verbarg?

Ich weiß es nicht. Ich weiß so vieles nicht, dass es mich beschämt und traurig macht. Wie hat es Sita beispielsweise geschafft, mit den Schmerzen fertig zu werden, die zuletzt bestialisch gewesen sein müssen? Hat sie sie ignoriert, verdrängt oder schlicht erduldet – so klaglos, wie das kein Mensch gekonnt hätte? Wie ist es meiner großen Schönen nur möglich gewesen, sich derart am Leben festzuklammern, dass ihr Herz trotz einer vielfachen Überdosis Narkosemittel anderthalb Stunden lang weiter schlug? Wie hat sie so effektiv mit dem Tod ringen können, obwohl sie tief narkotisiert war und eigentlich keinen bewussten Widerstand mehr leisten konnte? Und warum hat sie angesichts des erbarmungslosen Krebsfraßes in ihrer Tatze immer wieder mit athletischen Kabinettstückchen zu glänzen gesucht, ganz so, als sei sie nicht auf der Sterbestation, sondern trainiere für das goldene Katzen-Sportabzeichen?

Mit dem tief in allen Tieren verwurzelten Trieb, Krankheiten und körperliche Beeinträchtigungen so lange als irgend möglich zu verstecken, weil offensichtliche Gebrechen in der freien Wildbahn die großen Räuber anziehen wie ein Magnet die Eisenspäne, ist diese Überkompensierung meiner Meinung nach nicht zu erklären. Eher mit einem weltklugen, vernunftbegabten, dem unseren ebenbürtigen Verstand und Sorgen, Todesangst sowie Wissen um das Ende und Aufbegehren gegen das Unabänderliche.

Ich habe viel gegrübelt und bin so sicher, wie man unter den Umständen nur sein kann, dass Sita schon Monate lang bewusst war, dass in ihrer linken Tatze etwas Böses, Tödliches heranwuchs. Ich halte es für wahrscheinlich, dass sie mich aus diesem Grund drängte, das Leckerli-Fangspiel, bei dem sie immer so glücklich war, plötzlich so oft mit ihr zu spielen. Und mich plagt die Erinnerung, wie meine große Schöne auf einmal damit begann, sich mitten im wildesten Jagen eine halbe Minute lang hinzulegen. Natürlich waren es die Schmerzen in der Pfote; ich aber meinte, Sita sei erschöpft, satt oder träge, und schimpfte sie ein bisschen aus. Nie werde ich den Blick der grünen Augen vergessen und seine inständige Bitte um Vergebung und Verständnis!

Meine Schöne, bitte verzeihe mir! Wie konnte ich ahnen, dass du krank warst?

Als du aus dem Tierheim zu uns gekommen bist, warst du traumatisiert, panisch vor Angst und kreuzunglücklich; aber du hast es gewagt, mir trotz deiner bösen Erfahrungen mit anderen Menschen nach und nach dein ganzes Vertrauen zu schenken und mir gestattet, aus dem Häuflein Elend, das du anfänglich warst, eine glückliche und selbstbewusste Katzendame zu formen. Dafür danke ich dir.

Ich habe in meinem Leben eine ganze Reihe sinnvoller Projekte verwirklicht, Gott sei Dank, aber meine Mitwirkung an deiner »Befreiung« hat mich besonders glücklich gemacht.

Wir Menschen halten uns für so klug und clever; aber was die wirklich wichtigen Fragen angeht, etwa, was nach dem Tod passiert, sind wir ahnungslos. Du kennst jetzt die Lösung des großen Rätsels.

Ich würde dir zuliebe gerne glauben, dass es einen Katzenhimmel gibt oder entsprechend verklärte »ewige Jagdgründe«, in denen es dir möglich wäre, nach Herzenslust zu schmausen und zu schmusen, zu jagen und zu schlafen, kann es aber nicht. Sie machen genauso wenig Sinn wie der Menschen-Himmel und die Horror-Disneyland Hölle. Zwar sträubt sich alles in mir gegen die Vorstellung, dass du, meine überlebensgroße, kraftstrotzende, sinnenfrohe und kluge Schöne, in endloser Schwärze untergegangen sein sollst wie ein schwarzer Tintentropfen, der von einer Schreibfeder in ein Tintenmeer gefallen ist, aber dein Ende wäre es nicht. Denn in meinem Herzen und meinem Hirn lebst du weiter.

Ich sehe dich, wie du in deinem hochbeinigen Stakkato-Galopp so energisch durch die Wohnung zum Futter spurtest, dass es wie eine Mustangherde klingt oder wie Lützows wilde verwegene Jagd und die Möbel zittern und beben. Du ruhst, auf wundersame Weise zusammengelegt und gefaltet, vor mir auf deinem selbst erwählten Tagesbett, dem für dich viel zu kleinen Pappkarton meiner Ersatz-PC-Tastatur auf dem Schreibtisch, und begrüßt mich mit einem winzigen, aber höchst freundlichen Papageienkrächzen. Du liegst ausgestreckt im dunklen Flur und lauschst interessiert dem, was wir Zweibeiner in der Küche zu reden haben. Du balancierst, als wäre das die kleinste Kleinigkeit des Katzenalltags, auf dem daumenbreiten Balkongeländer und manövrierst dein Wohlstandsbäuchlein geschickt um die 90-Grad-Ecken und den Sonnenschirmständer herum. Und wenn ich die ganze Dreierbande aus der Hand füttern möchte, treffe ich, egal, ob ich mich mit der Atzung nach links wende oder nach rechts, nach hinten oder nach vorne, zu Shirkan oder Rani, immer nur auf ein und dasselbe eifrig zuschnappende große Katzenmaul: Das von dir, mein stets hungriger Liebling.

Du wirst immer bei mir sein! Lebe wohl, und tausend Dank für all das Glück, das du mir geschenkt hast!



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